Bericht zur Tagung der Arbeitsgruppe bei der Bundeswehr

Gruppenfoto HCM 2015Die diesjährige Tagung der GOR-Arbeitsgruppe „Health Care Management“ (HCM) fand auf Einladung der Sanitätsakademie der Bundeswehr am 27. Februar 2015 in der Ernst-von-Bergmann-Kaserne in München statt. Schon während des Vorabendtreffens konnten die Teilnehmer bei einem gemeinsamen Abendessen erste Einblicke in die Besonderheiten des Sanitätsdienstes der Bundeswehr gewinnen. Am Treffen der Arbeitsgruppe nahmen rund 30 Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Bundeswehr sowie aus unterschiedlichen Bereichen des Gesundheitswesens teil. Theoretiker und Praktiker nutzten die Gelegenheit für einen intensiven Austausch über aktuelle Entwicklungen des Operations Research im Gesundheitsbereich und dessen erfolgreiche Anwendungen in der Praxis.


 

gor-hcm_2015_foto2Begrüßt wurde die Arbeitsgruppe durch die Kommandeurin der Sanitätsakademie der Bundeswehr, Frau Generalstabsarzt Dr. Erika Franke. Die Sanitätsakademie betreut jährlich etwa 11.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer in 500 Seminaren und Lehrgängen und hält damit ein sehr umfangreiches Ausbildungsangebot für den Sanitätsdienst der Bundeswehr bereit. Durch drei Forschungsinstitute, die der Sanitätsakademie angegliedert sind, und einem Bereich Wissenschaft und Fähigkeitsentwicklung können Forschung, (Weiter-)Entwicklung und Lehre optimal verknüpft werden.

gor-hcm_2015_foto3In Fortsetzung der Vorstellung der Sanitätsakademie der Bundeswehr ging der stellvertretende Kommandeur, Herr Generalarzt Dr. Norbert Weller, detaillierter auf die im Rahmen der Neuausrichtung vollzogenen Änderungen innerhalb der Bundeswehr insgesamt und die dadurch in den Ausbildungseinrichtungen im Sanitätsdienst notwendigen Umstrukturierungen ein. Die Sanitätsakademie vollzieht in diesem Kontext einen Wandel von einer reinen Ausbildungseinrichtung hin zu einem Kompetenzzentrum für Ausbildung, Lehre, Wissenschaft und Weiterentwicklung, in dem u.a. auch geforscht wird. Muss sich der Einsatz des Sanitätsdienstes der Bundeswehr vor Ort am Outcome orientieren und dem technologischen Fortschritt Stand halten, so muss die Ausbildung diesen Anforderungen natürlich jeweils gerecht werden und sich somit selbst auch am Bildungs-Outcome messen lassen.

Dominique Mayer, Abteilungsleiter in der Sanitätsakademie, stellte anschließend anhand eines praktischen Beispiels den Einsatz von Operations Research im Sanitätsdienst der Bundeswehr vor. Ein internationaler Vergleich der Organisationsstrukturen in den Sanitätsdiensten machte dabei zunächst deutlich, welche Herausforderungen allein aus internationalen Kooperationen erwachsen. Darüber hinaus hat es der Sanitätsdienst im Einsatz vor Ort gewöhnlich – ähnlich spieltheoretischer Ansätze – mit dem Verhalten einer Oppositionspartei zu tun, das bei den eigenen Überlegungen und Vorbereitungen mit berücksichtigt werden muss. Es ist im Rahmen des Vortrags von Herrn Mayer sehr anschaulich deutlich geworden, dass sich Bergung und Rettung von Verwundeten unter Einsatzbedingungen somit deutlich schwieriger und komplexer gestaltet, als im zivilen Bereich in Deutschland.

Anschließend an die Vorträge der Bundeswehr wurde im zweiten Teil der Arbeitsgruppensitzung zivile Fragestellungen bzgl. des Operations Research im Gesundheitswesen beleuchtet. Martin Zsifkovits von der Universität der Bundeswehr in München berichtete hierbei über ein Projekt aus Österreich, in dem es um die Frage ging, ob zwei neue und sehr teure Medikamente zur Behandlung von Hepatitis C von den Krankenkassen bezahlt werden sollen oder nicht. Ausgangspunkt der Analyse waren neben epidemiologischen Daten zur Verbreitung von Hepatitis C auch die entsprechenden Kostendaten. Es konnten im Rahmen des Projekts Typen von Patienten identifiziert werden, die unterschiedlich auf die jeweiligen Therapien ansprechen. Gleichermaßen wurden starke Unterschiede zwischen Personengruppen bezüglich der Ansteckungswahrscheinlichkeit ermittelt. Die Simulation erfolgte letztlich im Rahmen einer Mikrosimulation, also auf Basis der individuellen Patienten. Im Ergebnis konnte gezeigt werden, dass sich die kostenintensivere Therapie dennoch – wenn auch für unterschiedliche Gruppen sehr differenziert – auf lange Sicht bezahlt macht.

Einem Thema, das aktuell auch intensiv in der Presse diskutiert wird, widmete sich anschließend Sven Müller von der Universität Hamburg. Ziel des vorgestellten Modells ist die Steigerung der Teilnahme an einem Vorsorgeprogramm für Mammakarzinome. Ausgangspunkt der Betrachtung waren letztlich die Determinanten für die Inanspruchnahme der entsprechenden Angebote. Mit Hilfe eines wahrscheinlichkeitsgesteuerten multinomialen Logit-Modells wurde der Frage nachgegangen, wie viele Patientinnen einerseits überhaupt teilnehmen, und wenn ja, in welchem Zentrum sie dies tun. Dies zu maximieren sollte letztlich mit einer optimalen Standort- und Kapazitätsplanung der entsprechenden Untersuchungsgeräte erreicht werden. Zentral für die Entscheidungsfindung war auch die Qualität der Diagnostik, die nicht zuletzt auch von der Fallzahl und damit der Routine der Zentren abhängt.

Alexander Hübner von der katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt stellte einen in enger Kooperation mit Manuel Walther entwickelten Ansatz zur Optimierung von Bettenauslastungen in Krankenhäusern vor. Erreicht wurde diese durch geeignete Zusammenfassung – Clustering – von Betten über mehrere Fachabteilungen hinweg. Dies setzt voraus, dass ein entsprechendes Clustering durchführbar und medizinisch sinnvoll ist. Den daraus entstehenden Synergieeffekten stehen jeweils höhere Qualifikationsanforderungen an das folglich in unterschiedlichen Fachrichtungen eingesetzte Personal sowie ggfs. längere Transportwege etc. gegenüber. Im Ergebnis konnte gezeigt werden, wie durch stabiles Clustering von Stationen unter Berücksichtigung der saisonalen Schwankungen der Bedarfe die Zahl der Betten gesenkt werden konnte.

gor-hcm_2015_foto4Andreas Fügener von der Universität Augsburg stellte anschließend in seinem Vortrag die Erweiterung eines Projekts zur Schichtplanung von Ärzten im Krankenhausbereich vor. Die ursprüngliche Planung auf Basis von Excel wurde von einem OR-Modell in einer Web-basierten Umgebung abgelöst. Harte Beschränkungen wie Arbeitszeitgesetzte und notwendige Qualifikationen der Ärzte vor Ort stehen weichen Begrenzungen wie den Wünschen der Ärzte bezüglich der Schichtplangestaltung, der Ausbildung oder auch den unterschiedlichen Qualifikationen der Ärzte gegenüber. Leicht verständliche Eingabemasken erleichtern die Bedienung des Programms. Es konnte gezeigt werden, dass die Zahl der unerwünschten oder nicht besetzten Dienste durch Einsatz des Modells deutlich reduziert werden konnte. Im Laufe des Projekts ist aber auch deutlich geworden, dass alleine die Fragen, die anlässlich der Modellierung geklärt werden mussten, die Prozesse vor Ort noch einmal stark verändert haben.

Einen Ansatz zur Krankenhausplanung stelle Verena Feld von der RWTH Aachen nach der Mittagspause vor. Da das Land Nordrhein-Westfalen zur Zeit einen neuen Krankenhausplan aufstellt, ist dieser Ansatz besonders aktuell. Neben Standortentscheidungen modelliert Frau Feld auch Fachabteilungs- und Bettenallokationen für NRW. Die Basis hierfür bilden detaillierte geographische Analysen von Bedarfspunkten, maximalen Entfernungen etc. Ziele dabei sind die Reduzierung der Bettenzahl einerseits, aber auch die möglichst geringe Verschiebung von Kapazitäten zwischen den Krankenhäusern. Erreicht wird dies durch eine lexikographische Ordnung, mit der die Zielfunktionen nacheinander optimiert werden. Für die Umgebung von Münster konnte Frau Feld erste Ergebnisse präsentieren, die zum Teil zu deutlichen Bettenreduzierungen – nicht nur in Ballungsräumen – führen könnten.

Die Terminplanung von niedergelassenen Ärzten thematisierte Matthias Schacht von der Ruhr-Universität in Bochum in seinem Vortrag. Ziel ist es dabei, einen Plan zu finden, der die Interessen des Praxispersonals und der Patienten ausbalanciert. Unterstützt durch die aktuelle politische Diskussion gilt es dabei, jedem Patienten möglichst bald einen Termin vergeben zu können und darüber hinaus die Wartezeiten in der Praxis so kurz wie möglich zu halten. Um auch Eilfällen gerecht zu werden, setzten die von Herrn Schacht vorgestellten Strategien an der Optimierung der Mischung zwischen frühzeitig fest geplanten und den kurzfristig eingeschobenen Patienten an. Das unterschiedlich wahrscheinliche Auftreten beider Patientengruppen ist hierbei ebenso modelliert worden, wie ihr Verhalten im Falle einer nicht wunschgemäßen Terminvergabe. Als zentrale Stellgröße konnte die Verteilung der länger- und der kurzfristig zu vergebenden Zeitfenster im Laufe des Tages ermittelt werden. Die Präsentation der Ergebnisse zeigte dies sehr anschaulich.

Winfried Jänicke präsentierte in seinem Vortrag einen Ansatz zur Prozessoptimierung im Krankenhaus. Kernstück des Vortrags war aber weniger die Vorstellung einer Methode des Operations Research, sondern der deutliche Hinweis darauf, dass Operations Research auch immer häufiger in eine komplexe IT-Architektur eingebunden sein muss, um praxistauglich zu sein. Die in den Krankenhausinformationssystemen gespeicherten vielfältigen Daten stehen als Lernplattform für immer komplexere und zunehmend vom Computer getroffene Entscheidungen bereits zur Verfügung. Eine intelligente Vernetzung der Systeme ermöglicht dies. Darüber hinaus müssen hierdurch ggfs. die Mitarbeiter im Krankenhaus immer weniger Eingaben selbst vornehmen. Dennoch sind oftmals die Vorbehalte der Nutzer, die sich nicht in die von vorgegebene Bearbeitungsreihenfolgen pressen lassen wollen, die die Nutzung der technisch bereits realisierbaren Rationalisierungspotentiale verhindern.

Simulationsbasierte Optimierung als Widerspruch? Helmut Niessner von der Firma SimPlan Österreich in Wien zeigte in seinem Vortrag, dass dies durchaus nicht der Fall sein muss. Anhand einer Discrete Event Simulation von Patienten, Räumen und Therapeuten in der Psychiatrie stellte Herr Niessner zunächst vor, wie viele Daten hierdurch für spätere Auswertungen gewonnen werden können. Die bildliche Darstellung der Räume, der Patienten etc. erleichtert darüber hinaus die Nachvollziehbarkeit der Simulationsverläufe und -ergebnisse und fördert damit die Akzeptanz bei den Entscheidungsträgern. Die Entscheidungsträger können darüber hinaus – dank der guten Visualisierung – viel eher nachvollziehen, welcher Interpretationsspielraum bei der Beurteilung der rechnerischen Ergebnisse nutzbar ist. Zielsetzung ist hierbei nicht ein perfektes Optimierungsmodell zu generieren sondern die konkrete Entscheidungssituation zu unterstützen. Dies kann zu besseren Ergebnissen führen, als eine bis ins letzte Detail ausgeführte Optimierung, die nicht optimal interpretiert und umgesetzt wird.

Die Arbeitsgruppensitzung schloss mit einem Dank an die Sanitätsakademie der Bundeswehr für die hervorragende Organisation der Sitzung, einem kurzen Bericht der Arbeitsgruppenleitung sowie einem Hinweis auf die anstehenden OR-Tagungen in Wien und Glasgow.